PMA Magazin bei Facebook folgen PMA Magazin bei Twitter folgen PMA Magazin auf LinkedIN xing icon weiss

Specials

Im Wandel durch Raum und Zeit

Nur wer sich traut neue Wege zu beschreiten, dem eröffnen sich auch Perspektiven. Die Idee eines für das Publikum begehbaren Klangkörpers ermöglicht eine völlig neue Wahrnehmung wie Musik gemacht wird. Die Eröffnung des cresc-Festival 2023 in der 3. Dimension.

foh publikum 1

cresc nennt sich die Biennale für aktuelle Musik. Das Festival wird vom Ensemble Modern sowie dem HR Sinfonieorchester ausgerichtet. Unter dem Titel »MeWe« erforschen musikalische Formationen dabei das Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft in einer Vielfalt von Spielarten aktueller Musik. Zur diesjährigen Biennale 2023 traf zeitgenössische Musik auf Sci-Fi Funk und Afro-Beat, die isländische Musikszene auf eine westafrikanisch-deutsche Band und das Publikum war gleich zum Eröffnungskonzert eingeladen, die klanggewaltigen, vom hr-Sinfonieorchester und dem Ensemble Modern inszenierten Earth Dances, von Sir Harrison Birtwistle in einer bis dato nie erlebten Form beizuwohnen.                            

Begehbares Orchester 

Unmittelbar nach der Aufführung des monumentalen Orchesterwerkes im großen Sendesaal des Hessischen Rundfunks, hatten die Zuschauer die Möglichkeit, diese Inszenierung nochmals in den HR-Studios zu erleben. Hierfür wurden insgesamt 44 Lautsprecherkomponenten unterstützt von 8 Subwoofern auf drei Ebenen - bodengestützt, in 5 Metern Höhe sowie in einem unterhalb der Studiodecke angelegten Ring verbaut.Die von Sound Designer und Klangregisseur Norbert Ommer aufgenommenen Orchesterproben wurden auf diese Weise in einer 3D Audio-Installation übertragen, wobei das Publikum sich frei durch den Raum, innerhalb des so geschaffenen Orchesterklangkörpers bewegen konnte.Die Wiedergabe der Aufzeichnung erfolgte dabei unverändert, klanglich linear und wurde von Norbert Ommer selbst, aus der Konsole über ein d&b Soundscape System dreidimensional, live gemischt in den Raum übertragen. Spektakulär hierbei, die programmierte Bewegung des kompletten Orchesters um bis zu 180° als auch die Bewegungen stimmführender Instrumente innerhalb des Klangkörpers.

hr studios totale 6

Im Anschluss an die Aufführung hatten wir Gelegenheit mit dem Klangregisseur des Ensemble Modern Norbert Ommer, über die Hintergründe dieses Projektes im Rahmen des cresc-festivals zu sprechen. 

pma: Was war der Anlass für die Umsetzung des begehbaren Orchesters und inwieweit spielt die Installation in 3D Audio eine Rolle dabei?

Norbert Ommer: Am Anfang stand die Idee des CRESC Festivals, eine Klang-Installation zu erschaffen, mit der Musik von Earth Dances (von 1986), des Komponisten Harrison Birtwistle. Diese Installation sollte im zeitlichen und räumlichen Kontext des Livekonzertes (HR Sinfonie Orchester und EMO Orchestra im Sendesaal des HR in Frankfurt am Main) stehen. Somit fiel dann auch die Wahl auf das große Fernsehstudio des HR, welches die o.g. Parameter erfüllt. Bei der Besichtigung des HR-Studios wurde mir sehr schnell klar, dass neben der Klang-Installation auch der Raum mit einzubeziehen ist. Und zwar nicht nur vom Höreindruck, sondern auch vom visuellen Aspekt her. Der Zuhörer/Besucher sollte meiner Meinung nach, einen neuen Raum vorfinden, also einen ganz anderen als den Konzertsaal, den er erkunden kann. Oder anderes betrachtet, war das für mich auch die Suche nach neuen Klangwelten. Hierzu wurde dann der Bühnenbildner und Lichtdesigner Klaus Grünberg eingeladen, mit dem ich schon seit 1997 bei verschiedenem Projekt zusammengearbeitet habe. Nach dem Hören des Werkes Earth Dances wurde mir aber auch deutlich, dass dies keine Musik ist, um diese u.U. mit vielen kleinen Lautsprechern als Installation im Raum oder in oder an Objekten hören zu können. Diese Musik verlangte geradezu nach einer Umsetzung, die dem starken Ausdruck der Partitur und Stimmen gerecht wird. Eine weiter Idee von mir war, den Zuhörer zu überraschen und Ihm einen Klang zu zeigen, den er so bisher nicht hören konnte. Dies insbesondere im Kontext mit der Live-Aufführung. Das heißt, der Zuhörer sollte sich nicht nur im Raum, sondern auch im Orchesterklang bewegen können. Zusätzlich zur individuellen Bewegung des Zuschauers im Aufführungsraum, wollte ich auch das Klangbild im Raum bewegen, um die Komposition zu unterstützen. Alle Überlegungen brachten mich dann dazu, das Soundscape-System von D&B Audio zu verwenden, mit dem ich schon bei den Bregenzer Festspielen sehr gute Erfahrungen gemacht habe.

norbertommer 7

pma: Inwieweit unterscheidet sich Ihre Arbeit am Pult hinsichtlich der Originalaufführung und den nachgelagerten 3D Audio Session in den HR-Studios?

Norbert Ommer: Zunächst wurde die Originalaufführung mit 64 Spuren aufgezeichnet, welche ich dann auch für die Installation nutzen konnte. Der grundsätzliche Unterschied in diesem Fall, also Live-Recording für den Radio Hörer und das Arbeiten mit Soundscape für die Installation ist sicherlich, die Unterscheidung im Format des Ergebnisses. Ziel beim Recording war die Mischung von 64 Spuren für eine Stereorundfunkübertragung und bei der Installation wurden die 64 Spuren objektbasiert auf 48 Lausprecher im Raum gemischt.

pma: Wie gestaltet sich die 3D-Ausspielung in technischer Hinsicht – wie haben Sie die anliegenden Signale auf den begehbaren Studioraum gemischt.

Norbert Ommer: Meine Idee war der begehbare Orchesterraum. Dem Zuhörer die Möglichkeit zu geben, durch das Orchester zu spazieren. Also einen vollkommen anderen Klangeindruck zu schaffen als im Konzertsaal. D.h. wenn der Zuhörer den Klangraum betreten hat, konnte er durch die Streichinstrumente eintreten. Je nachdem wie er dies tat, war er näher an den Kontrabässen und Celli, oder vielleicht bei den Bratschen und Violinen. Umso weiter er dann in den Raum eintrat, begegnete er den Holz- und Blechbläsern. Wenn er dann an die nächste Raumseite gelangte, war er mitten zwischen acht Schlagzeugern, die unablässig das ganze orchestrale Percussion-Instrumentarium bedienten. Und so konnte er dann, wenn er wollte, den ganzen Orchesterraum klanglich durchwandern. Manche Zuhörer haben aber auch, nur an einem Ort, quasi Mitten irgendwo im Orchesterklangraum das Werk erlebt. Zusätzlich zur Bewegung des Zuhörers, habe ich das ganze Orchester, an vier Stellen im Stück, wie die Planten im All oder die Erde zu den anderen Planten, drehen lassen. Auch einzelne Instrumente wurden dann, je nach musikalischer Bedeutung, wie die Sterne im Universum bewegt.

pma: Inwieweit hat sich Earth Dances im Besonderen für diese Art der Performance geeignet?

Norbert Ommer: Vielleicht weil es ein so vielschichtiges Werk ist, bei dem man immer wieder neue Dinge entdeckt. Ich denke aber auch, dass man dieses Konzept wunderbar mit anderen Kompositionen aufführen kann. Auch könnte man sich unterschiedlich Räume, mit anderen visuellen Darstellungsformen vorstellen. Dazu ergeben sich für mich viele neue Ideen.

pma: Wie haben Sie die Reaktionen des Publikums wahrgenommen, welche beide Aufführungsszenarien wahrgenommen haben?

Norbert Ommer: Als sehr positiv. Viele kamen nach der Aufführung zu mir und haben sich bedankt dafür, dass sie das Werk noch einmal ganz anderes hören durften. Selbst Musiker aus dem Orchester waren begeistert von dem neu geschaffenen Klangraum. Dies vielleicht auch, weil der Klang nicht statisch ist, wie der Orchesterraum (der Musiker sitzt ja immer am gleichen Platz), sondern mehr Bewegung zu lässt und mit Nähe und Entfernung spielt.

hr studios totale

Live Beschallung muss neu gedacht werden
 

Ralf Zuleeg ist Produktspezialist und leitet die Installationsabteilung Soundscape im Hause d&b. Zum Auftakt des cresc Festivals zeichnet er planungstechnisch für die dreidimensionale Umsetzung von Earth Dances in den HR Studios verantwortlich. Im Interview berichtet er über die Funktion und Einbindung von Soundscape in Beschallungsszenarien und welche Perspektiven dies ermöglicht. 

pma: Was bedeutet 3D Audio in Verbindung mit der vorangegangen Aufführung des Ensemble Modern auf dem Cresc Festival 2023 für den unbedarften Zuhörer?

Ralf Zuleeg: Immer eine gute Frage. Subjektiv wird sich der Zuhörer in dieser speziellen Produktion einem Klangraum wiederfinden, den er so nicht erwartet hat. Durch die Verteilung der Klangquellen (der Instrumente) in allen drei Dimensionen um die Zuhörerenden, wird dieser Teil des Orchesters. Allerdings wird das Wichtigste für alle die Umhüllung durch Klang sein. Das Besondere an der Sache ist dabei, dass man künstliche Räume schafft, die durchaus als real empfunden werden.

pma: Welche Rolle spielt Soundscape in dieser Konstellation und um was handelt es sich bei diesem System?

Ralf Zuleeg: Rein technisch ist d&b Soundscape das gesamte System vom Eingang in den Prozessor bis zum akustischen Ausgang. Der DS100 mit den Applikationen En-Scene und En-Space ist das Herz dieser Anlage. En-Scene setzt dabei die Szene – das bedeutet der Teil in dem die Eigenschaften der einzelnen Audioobjekte auf die Lautsprecher gerechnet wird, sprich jeder Lautsprecher gibt nur den relevanten Teil für das entsprechende Audioobjekt wieder. En-Space gibt dem Ganzen den räumlichen Kontext. Hierbei wird der Position des Audioobjekts ein bestimmter Impulsantwortensatz einer realen Halle zugeordnet. Dadurch wird zugleich die Illusion einer realen Umgebung hergestellt.

ralfzuleeg
pma: Welche Lautsprecherkonfiguration und Anordnung wurde hierfür in den HR Studios verwendet?

Ralf Zuleeg: Zur Verwirklichung des dreidimensionalen Klangraumes wurden 44 d&b T10 Lautsprecher auf drei Ebenen verteilt, die von 8 V-Sub, je zwei in jeder Raumecke, unterstützt wurden.

pma: Was bedeutet objektbasiertes Mischen in diesem Zusammenhang?

Ralf Zuleeg: Generell erweitert OBA (Object Based Audio) in jeder Audioproduktion die kreativen Grenzen. Durch die zeitliche Entzerrung der einzelnen Objekte wird eine hohe Transparenz erreicht, die im speziellen Fall dieser Produktion zu Earth Dances, auch die Bewegungen einzelner Objekte wahrnehmbar gemacht hat.

pma: Inwieweit spielen die physikalische Beschaffenheit und Maße der Live Umgebung in Verbindung mit der Arbeit an Soundscape eine Rolle?

Ralf Zuleeg: Der Raumeinfluss auf eine Objekt Basierte Audioanlage ist geringer als man denken würde. Es sei folgende Analogie erlaubt: Man stelle sich sechs beleibte Personen vor, die gleichzeitig in einen Pool springen. Die resultierende Welle ist erheblich und verschmiert das Eintauchen der einzelnen Personen. Anders jedoch, wenn die Personen nacheinander springen, dann entsteht zwar auch Wellenschlag, aber längst nicht in der zuvor geschilderten Intensität. Daher ist bei OBA, der Raumeinfluss geringer und es wird generell eine bessere Klarheit erzielt als mit einem herkömmlichen System. Es gibt naturgemäß Grenzen der maximalen Größe eines OBA Riggs. Diese begründen sich aber in unserer Wahrnehmung von Schallereignissen und in welchem Zeitfenster unser Gehör integriert. Wenn perkussive Signale rhythmisch zusammenhängen, wird die Grenze bei etwa 80ms Laufzeitdifferenz liegen, das heißt, die maximale Ausdehnung eines Aufbaus für zeitlich kritische Signale wird bei etwa 20m liegen. Wenn es ausschließlich um späte Energie und nicht perkussive Klangflächen geht, kann man schon größer werden.

pma: Inwieweit fordert der Grundgedanke der Funktionalität von Soundscape ein grundsätzliches Umdenken hinsichtlich der Anordnung in der Live Beschallung, weg vom Main Line Array, hin zu breiter Point Source gestützter Positionierung?

Ralf Zuleeg: Ein OBA System kommt mit weniger Energie aus den Einzellautsprechern aus. Die Lautsprecher sollten zudem auch in die Bühne integriert werden. Schon aus diesen beiden Gründen ist hier weniger, mehr. Vorstellbar wäre, dass man so vom vertikalen zum horizontalen Array wechselt. Das macht in der Gesamtenergie keinen großen Unterschied.

pma: Lässt sich die Steuerung von Soundscape in den Workflow des FOH Engineers einbinden oder ist dies Part-of-the-Job des Systemtechnikers?

Ralf Zuleeg: Das hängt vom FOH Kollegen und der Produktion ab. Wahrscheinlich aber wird sich beides die Waage halten. Bei einem statischen Mix kann man sich Soundscape auch als grandiosen Panner vorstellen. Wenn einmal die Positionen gesetzt sind, ist das business as usual. Wenn viel animiert wird, also sich viele Objekte bewegen oder von Trackingsystemen gesteuert werden, ist es eher sinnvoll einen Spezialisten dabei zu haben.

pma: Welche Schulungen seitens d&b werden zu Soundscape angeboten? Termine hierzu finden sich auf der Website von d&b unter der Rubrik Training / Workshops.

norbertommer crew 1
pma: Welche Referenzen / Erfahrungen gibt es hierzu bereits aus dem Touring Business?

Ralf Zuleeg: Kraftwerk, Björk, Groove Armada - ich denke keiner der hier genannten Künstler möchte jemals wieder auf Soundscape verzichten. Es hat sich zudem auch gezeigt, dass Soundscape mit entsprechendem Einsatz und Planung ebenso im Rahmen einer Tour geplant werden kann.


pma: Gibt es bereits Veranstaltungshäuser in denen Soundscape fest installiert ist?

Ralf Zuleeg: Soundscape findet sich u.a. in der Malmö Oper, der Sydney Opera. Den Überblick im Westend und auf dem Broadway habe ich aufgrund der Vielzahl an Installationen mittlerweile verloren. Sehr beliebt ist Soundscape auch in amerikanischen Kirchengebäuden. Im Augenblick erleben wir eine Trendwende im Verständnis von Audioproduktionen, so dass eigentlich keine Abfrage über eine herkömmliche Anfrage zu einem System im Bereich Performing Arts ankommt.


Text und Interview: Ray Finkenberger-LewinFotos & Grafik: Ralph Larmann / d&b / Ray Finkenberger-Lewin



Weitere spannende Reportagen finden Sie hier

Aktuelle Themen finden Sie hier
Wir benutzen Cookies

Wir nutzen Cookies auf unserer Website. Einige von ihnen sind essenziell für den Betrieb der Seite, während andere uns helfen, diese Website und die Nutzererfahrung zu verbessern (Tracking Cookies). Sie können selbst entscheiden, ob Sie die Cookies zulassen möchten. Bitte beachten Sie, dass bei einer Ablehnung womöglich nicht mehr alle Funktionalitäten der Seite zur Verfügung stehen.